Der zweite Teil:

Wundersame Begegnung von Traudl Wirsing

Heilig Abend vor fünf Jahren:

Sie ist der glücklichste Mensch der Welt. Peter hat sie fest an sich gedrückt und sie genießen schweigend den herrlichen Blick von der Kreuzkapelle aus auf die nördlichen Chiemseebuchten. Gleich werden sie die Christmette in der Marienkapelle beim Augustiner Chorherrenstift besuchen, danach in der früh hereinbrechenden Dunkelheit mit einem Dampfer zurück aufs Festland fahren und sich dann voneinander verabschieden. Es werden Monate vergehen bis sie sich wieder für ein paar unendlich kostbare Tage treffen werden. Irgendwo. Heimlich.
Niemand weiß von ihrer Beziehung. -
Regina runzelte gedankenverloren die Stirn. Es war das letzte Mal gewesen, dass sie Peter gesehen hatte.
Seither kam sie – getrieben von Sehnsucht und Hoffnung – stets an Heilig Abend zur Herreninsel, verbrachte hier ein paar Stunden in noch immer überwältigenden Erinnerungen, um letztendlich doch wieder allein und enttäuscht die Rückfahrt anzutreten.
Wehmütig verharrte sie ein paar Minuten an der Kreuzkapelle und blickte sich suchend um.
Kein Mensch weit und breit.
Bedrückt schlug sie den Insel-Rundwanderweg nach Süden ein. In der gedämpften Stille war nur das Knirschen des Schnees unter ihren Stiefeln zu hören.
Nicht weit vom Schloss Herrenchiemsee begann ihr Herz plötzlich wie wild zu rasen. Sie hatte im Schlosspark trotz dichtem Schneetreiben eine Person erspäht, in der sie für einen Moment Peter zu erkennen glaubte. Aber noch ehe sie die Stelle erreichte, war der Unbekannte verschwunden. -

Das war schon einmal vor zwei Jahren passiert. Damals war sie wie vom Blitz getroffen stehen geblieben bis sich der Mann aus ihrem Gesichtsfeld entfernt hatte. Später war sie auf der Suche nach ihm kreuz und quer über die Insel gelaufen. Ohne Erfolg. Seitdem quälte sie sich mit der stets gleichen Frage: Hatte sie möglicherweise Peter gesehen?
Regina schalt sich eine Närrin. Warum konnte sie nach all der Zeit nicht endlich einen Schlussstrich ziehen? Sie musste dringend mit ihrem Wunschdenken aufhören und die Realität akzeptieren: Peter war seit fünf Jahren spurlos aus ihrem Leben verschwunden! -
Dennoch folgte sie mit immer schneller werdenden Schritten den Fußspuren des Unbekannten im Schnee. Nach wenigen Minuten hatte sie ihn eingeholt. Ihre Nerven flatterten.
„Peter …?“
Der Mann drehte sich langsam um. – Erstaunte Augen musterten sie von Kopf bis Fuß, dann glitt ein breites Lächeln über das stoppelbärtige Gesicht.
„Bedauere, aber wenn Sie sich mit einem Manfred anfreunden könnten ...?“
Regina starrte ihn irritiert an und murmelte schließlich gepresst eine kurze Entschuldigung. Dann hastete sie eilig an ihm vorbei.
Verzweifelt versuchte sie gegen die aufsteigenden Tränen anzukämpfen. Unendlich enttäuscht setzte sie sich auf eine der vielen wunderbar verschneiten Brunnenumrandungen.
Schließ endlich diese Geschichte ab, forderte ihr Verstand zum tausendsten Mal. Dein Peter hat Frau und Kinder! – Mach dir nichts vor! - Er ist sowieso bloß vier oder fünf Mal pro Jahr für ein paar Wochen geschäftlich nach Deutschland gekommen und bei diesen Gelegenheiten hat er sich kaum mehr als an den Wochenenden für dich Zeit genommen. Das ganze übrige Jahr war er in New York bei seiner Familie. So wichtig kannst du ihm gar nicht gewesen sein!
Mittlerweile weißt du ja nicht mal mehr, wo er sich aufhält - und ob er überhaupt noch lebt! -
Regina fröstelte:
Nein, diesen Gedanken würde sie nicht zulassen! Aber warum hatte er nach dem letzten Treffen nie mehr wieder etwas von sich hören lassen?
Diese Frage stellte sie sich Tag für Tag. -
Kurz nachdem sie sich zum ersten Mal am Münchener Flughafen begegnet waren, hatte sich Peter ein Handy besorgt, dessen Nummer ausschließlich Regina bekannt war. Außerdem hatten sie sich beide eine E-Mail-Adresse eingerichtet, die ebenfalls niemand außer ihnen kannte. So konnten sie miteinander telefonieren, sich schreiben, Fotos schicken und sich gelegentlich mittels Internet und Webcam unterhalten.
Sie hatte Peter´s Wunsch nach Diskretion und Heimlichkeit akzeptiert, zumal sie zum Zeitpunkt des Kennenlernens – konnte das wirklich schon fast zehn Jahre her sein? - selbst noch verheiratet gewesen war, wenngleich sie damals aufgrund der zunehmenden Spielsucht ihres Mannes eine Scheidung bereits in Erwägung zog.
Peter´s Kinder waren zu dieser Zeit gerade mal drei und vier Jahre alt. Ihretwegen wollten er und seine Frau vorläufig auf eine Trennung verzichten, obwohl ihre Ehe längst zu einer Wirtschafts- und Interessengemeinschaft verkommen war. Das zumindest beteuerte er Regina gegenüber immer und immer wieder.
Ein glückliches Lächeln huschte über ihr Gesicht:
So unsterblich verliebt war sie noch nie vorher in ihrem Leben gewesen! Peter war der wunderbarste Mann, den sie sich vorstellen konnte. Ohne viele Worte verstanden sie einander, teilten gemeinsame Interessen und schmiedeten Zukunftspläne. Für beide war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. -
Ihr Verstand ließ nicht locker:
Unbelehrbare Träumerin! – Warum existiert seine Handynummer und seine E-Mail-Adresse nicht mehr? Warum hat man dir auf all deine Anrufe in seinem Büro stets nur die Auskunft erteilt, dass Dr. Peter Berg nicht mehr in dem Unternehmen tätig sei und weitere Angaben zu seiner Person nicht gemacht werden dürften? Warum hast du bei rund einem Dutzend Telefonaten, die du in den ersten Monaten nach seinem Verschwinden unter den fadenscheinigsten Vorwänden mit seiner Frau geführt hast, immer nur die knappe Auskunft bekommen, dass er für längere Zeit persönlich nicht erreichbar sei und alle privaten und geschäftlichen Angelegenheiten ausschließlich von ihr abgewickelt werden würden? Warum hast du in endlosen Recherchen im Internet absolut nichts über ihn erfahren können, was aktueller als fünf Jahre ist?
Warum quälst du dich noch immer? Warum, warum …??
Schniefend ließ sich Regina von der Bank auf den Boden gleiten.
„Ich vermisse dich so sehr, Peter!“
Als sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden, vergrub sie den Kopf zwischen den Händen.
Nach und nach hatte der anhaltende Schneefall aufgehört und eine bleiche Dezembersonne verwandelte den Schlosspark in ein glitzerndes Wintermärchen.
Eine Landschaftsidylle wie auf einer Weihnachtskarte, dachte Regina beeindruckt. Was für ein traumhafter Heilig Abend!
Entschlossen stand sie auf und kramte in ihrer Handtasche nach Spiegel und Schminkzeug. Niemand sollte die Spuren ihres Seelenschmerzes in ihrem Gesicht entdecken können.
Sie blinzelte. Vom südlichen Waldrand her näherten sich drei Personen: Zwei Erwachsene und ein Kind mit auffallend blond gelocktem Haar. Irgendwie kamen Regina die Leute bekannt vor. Sie hatte sie mit Sicherheit schon öfters gesehen, nur konnte sie sich im Moment partout nicht an das Wo und Wann erinnern. Ungewöhnlich war die Familie in jedem Fall: Der Mann mit seltsam gekräuseltem Bart und einem altmodischen Cape, die Frau mit einem großen dunklen Tuch, das sie über Kopf und Schultern geschlungen hatte.
Während das seltsame Paar Arm in Arm still dem Weg folgte, hüpfte und tanzte das Kind mit ausgebreiteten Armen und glucksendem Lachen durch den Park, ließ sich rücklings in den Schnee fallen, rollte kleine Abhänge hinunter und lief schließlich schnurstracks auf Regina zu.
Noch nie hatte sie in so strahlend blaue Augen geblickt. Sie konnte sich an dem hübschen Jungen gar nicht satt sehen: Die Wangen von der Kälte sanft gerötet, die weiche Lockenpracht, das vertrauensselige Lächeln. Fasziniert von dem ungetrübten Glück, das dieses kleine Wesen ausstrahlte, konnte sie kaum dem Wunsch widerstehen, es an sich zu drücken und festzuhalten. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, kletterte der Junge auf ihren Schoß und umarmte sie mit einer Zärtlichkeit, die sie in tiefster Seele berührte.
„Ach, du süßer Engel“, flüsterte Regina. Die spontane Zuneigung des Kindes verwirrte sie. Sie wollte etwas sagen, wusste aber nicht was. Stattdessen verspürte sie eine Freude wie lange nicht mehr. Irgendetwas ganz Seltsames passierte gerade. Nein, nichts Seltsames, vielmehr etwas Wunderbares, das sie völlig unvorbereitet in ihrem tiefsten Inneren anrührte.
Von dem Kind schien eine Magie auszugehen, die ihr Herz erwärmte.
Regina schloss die Augen. Unbegreiflich! Gerade noch tief traurig, fühlte sie sich nunmehr hochgehoben und getragen von einer Woge des Glücks. Liebevoll hielt sie den Jungen fest und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Schließlich wurde dieser unruhig und so stellte ihn Regina wieder auf die Füße. Lächelnd streichelte sie ihm über den Kopf.
Da war es wieder - dieses unwiderstehliche, glucksende Lachen. Das Kind strahlte übers ganze Gesicht und machte lustige Sprünge und Pirouetten, so dass Regina begeistert klatschte und lauthals lachen musste.
Schließlich drehte es sich suchend nach seinen Eltern um. Diese warteten nur ein paar Meter entfernt. Mit ausgebreiteten Armen lief es darauf zu und wurde von der Mutter liebevoll aufgefangen und hochgehoben.
Da standen sie nun zu dritt und winkten Regina lächelnd zu. Wie Gelbgold strahlendes Sonnenlicht hatte sich im Blondschopf des Jungen gefangen und tauchte ihn in ein fast überirdisches Leuchten. Zusehends wurden die Strahlen intensiver und reflektierten mit gleißenden Blitzen auf den verschneiten Flächen. Regina blinzelte und wischte sich über die Augen. Wie wundersam – irgendwie schien die ganze Familie in dem grellen Licht zu einer Einheit zu verschmelzen. Was für eine Sinnestäuschung! Sie schüttelte unwillkürlich den Kopf und hob schützend die Hände vors Gesicht. Trotzdem fühlte sie ein Brennen auf den geschlossenen Lidern.
„Von wegen fahle Dezembersonne!“, murmelte sie verblüfft und drehte dem gänzlich außergewöhnlichen Lichtspektakel geblendet den Rücken zu.
Wenige Augenblicke später schien die Landschaft um sie herum für kurze Zeit in abrupte Dämmerung zu fallen. Eine Sonnenfinsternis? Ganz bestimmt nicht! - Vielleicht sollte sie einen Augenarzt aufsuchen.
Möglicherweise litt sie ja unter einer akuten Augenentzündung. Aber gleich so spontan und so heftig? Irgendwie war das alles doch sehr verwunderlich. In jedem Fall musste sie der Angelegenheit nachgehen. Zunächst wollte sie aber noch ein paar freundliche Worte mit der ungewöhnlichen Familie wechseln.
Lächelnd drehte sie sich um: „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie einfach so ….“ Regina blickte verdutzt auf die Parkanlage vor ihr: Sie stand allein. Von den drei Personen war nichts mehr zu sehen. Das konnte doch gar nicht möglich sein! Verwirrt drehte sie sich mehrmals um die eigene Achse, lief ein Stück des Weges nach Süden, dann nach Norden. Sie konnte einen Großteil des Schlossparks frei überblicken. Niemals hätten sich die Leute in der kurzen Zeit, in der sie ihnen den Rücken zugedreht hatte, aus ihrem Gesichtsfeld entfernen können. Noch vor wenigen Augenblicken waren die drei winkend vor ihr gestanden.
„Das gibt´s doch nicht!“ Regina schüttelte konsterniert den Kopf. Während sie ihre Augen immer weiter konzentriert über verschneite Hecken, Wege, Bäume und Brunneneinhausungen gleiten ließ, suchte ihr Verstand angestrengt nach einer rationalen und plausiblen Erklärung. Tief in ihrem Inneren aber war ihr, als wüsste sie, dass sie die einzig mögliche Antwort bereits kannte. – Oh, mein Gott! – Das konnte doch gar nicht sein! – Sie wollte weglaufen, aber ihre Füße gehorchten ihr nicht. So stand sie wie angewurzelt und versuchte, das Unbegreifliche auf irgendeine Art und Weise anzunehmen.
„Regina.“
Nur gedämpft drang eine Stimme an ihr Ohr.
„Regina.“
Sie erstarrte. Für eine kleine Ewigkeit setzte ihr Herzschlag aus, um sich gleich danach in wilden Kapriolen zu überschlagen.
Sie wagte kaum, sich umzudrehen, tat es aber dann doch und blickte mit weit aufgerissenen Augen in das Gesicht eines Mannes, das ihr im ersten Augenblick völlig fremd vorkam, in dem sie aber schließlich doch vertraute Züge entdecken konnte.
„P…Peter?“, stammelte sie fassungslos.
Der Mann nickte stumm.
Regina spürte, wie ihr der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Sie taumelte und fürchtete, gleich das Bewusstsein zu verlieren. Aber sofort waren da diese vertrauten Hände, die sie festhielten und stützten, und sie dann sanft auf eine Steinstufe schoben.
„W.., wie…, wie bist Du hierher gekommen?“
Als hätte er ihre Frage nicht gehört, fühlte er ihren Puls und brachte dann Regina´s Beine in eine erhöhte Position.
„Es wird Dir gleich wieder besser gehen, nur eine kleine Kreislaufschwäche.“
Regina fühlte sich benommen und kraftlos. Ihre Lider waren schwer wie Blei, alles an ihr zitterte.
Als sie bemerkte, dass Peter seinen Mantel auszog und ihn um ihre Schultern legte, riss sie entschlossen die Augen auf und starrte ihn an. Dieses fremde Gesicht! - Von Narben übersäht, unübersehbar eine modellierte Nase, an der die chirurgischen Eingriffe noch deutlich erkennbar waren, irgendwie war auch das Kinn verändert.
„Kein Wunder, dass Du fast ohnmächtig geworden bist. – Auf einen entstellten Menschen warst Du nicht vorbereitet. – Tut mir leid.“ Abrupt wandte er sich ab.
Regina rang um Fassung. Irgendwie war das heute alles zuviel für sie. Voller Mitgefühl betrachtete sie den Mann, den sie so ganz anders in Erinnerung hatte. Er war sichtbar gealtert, das helle Haar von vielen grauen Strähnen durchzogen.
„Bitte sag mir, was passiert ist.“
Noch immer drehte er ihr den Rücken zu. Die selbstbewusste Ausstrahlung, die Energie von früher war unübersehbar einer resignierten Schwäche gewichen.
„Peter, bitte.“ Vorsichtig stand Regina auf. Sie fühlte sich noch ein wenig schwindelig, aber ihr Kreislauf hatte sich weitgehend stabilisiert. Zögernd tastete sie nach seiner Hand. Er öffnete sie und drückte ihre ganz fest.
„Ich hatte einen schweren Autounfall.“ Peters Blick schien an ihr vorbei in weite Ferne zu schweifen. „ Es passierte nur wenige Tage nach unserem letzten Treffen hier auf der Herreninsel. – Man hat mich bewusstlos aus dem brennenden Wagen gezogen. Dass ich überlebt habe, ist ein echtes Wunder.
Es ist wirklich unbegreiflich.“
Weiches Sonnenlicht fiel auf sein Gesicht und zauberte einen warmen Schein auf seine Haut. In den strahlend blauen Augen spiegelten sich glitzernde Lichtpunkte. Blinzelnd strich er sich eine Haarlocke aus der Stirn.
Déjà-vu.
Oh, mein Gott – das Kind!
Regina verstand. Jetzt endlich verstand sie.
Lächelnd gab sie ihm seinen Mantel zurück. „Lass uns ein Stück durch den Park gehen.“
Franz Meier sah sie schon lange, bevor sie den Dampfersteg betraten: Arm in Arm, in ein vertrautes Gespräch vertieft, die Köpfe einander zugewandt, strahlend.
So ein ungewöhnliches Paar hatte es in seinem ganzen Berufsleben noch nicht gegeben!
Franz kannte den Mann. Aber trotz seiner routinierten Beobachtungsgabe und seiner hervorragenden Menschenkenntnis wäre er nie auf die Idee gekommen, dass diese Zwei zusammengehören könnten.
„Ja, da wenns´d ma ned gehst!“, staunte er mit offenem Mund. -
Ein Nachbar von Franz Meier hatte zum ersten Mal vor drei Jahren von einem entstellten Mann berichtet. Dieser habe kurz vor Weihnachten für ein paar Tage ein Fischerboot von ihm gemietet. Er konnte kaum was über das Aussehen des Mannes sagen, da sich dieser mit dunkler Brille, riesigem Schal und tief in die Stirn gezogenem Schlapphut vermummt hatte. Aber er hatte den Eindruck gehabt, dass das Gesicht praktisch keine Nase gehabt hätte.
Ein Jahr später war der Mann wiederum kurz vor Heilig Abend aufgetaucht und erstmals habe er auch ein wenig von sich erzählt.
„Der kann einem wirklich leid tun“, wusste der Nachbar erneut zu berichten. Offensichtlich hatte ihn seine Frau mit den zwei Kindern bereits vor längerer Zeit verlassen. Zehn Operationen hatte er schon hinter sich und ein halbes Dutzend würde noch vor ihm liegen.
„Muss schon was auf der hohen Kante haben oder einen Batzen Rente beziehen. Wie sonst könnte er seit dem Unfall ohne Arbeit seinen Lebensunterhalt bestreiten? Lebt offensichtlich ganz allein.“
Vor einem Jahr war dann auch Franz Meier dem Fremden mehrmals begegnet. Die letzte Operation hatte sein Gesicht weitgehend wieder hergestellt, so dass er immer häufiger in der Öffentlichkeit gesehen wurde. Nur die Nase musste noch weiter aufgebaut und unterfüttert werden.
„Ich frag mich bloß, für was der jedes Jahr an Weihnachten ein Fischerboot braucht“, wunderte sich der Nachbar immer wieder. „Hab jetzt schon von mehreren gehört, dass sie ihn das ein oder andere Mal auf der Herreninsel gesehen hätten.“
Eng aneinandergedrückt saßen sie trotz eisigem Fahrtwind auf einer kleinen Sitzbank an Deck der „Irmingard“.
„Verstehst Du jetzt, warum ich so handeln musste?“ Peter hielt Regina so fest im Arm, dass es ihr fast den Atem nahm.
„Ich verstehe Dich, selbst wenn diese Entscheidung für jeden von uns sehr schmerzlich gewesen ist. Wahrscheinlich hätte ich es an Deiner Stelle aber genauso gemacht.“ Liebevoll zeichnete sie mit dem Finger die Kontur seiner Nase nach. „An die muss ich mich erst gewöhnen“, meinte sie lächelnd.
„Ja, warte erst mal noch zwei, drei Jahre. Dann werde ich der schönste aller Männer sein!“ Sein leises Lachen rührte sie zu Tränen.
Franz Meier strahlte wie ein Honigkuchenpferd: Für ihn war jetzt Arbeitsschluss. Zuhause wartete die ganze Familie bestimmt schon mit Ungeduld auf seine Heimkehr. Er würde heute eine wundersame Geschichte zu erzählen haben. Und zwei außergewöhnlichen Menschen wünschte er aus tiefstem Herzen alles Glück der Welt.
Im weihnachtlich erleuchteten Prien am Chiemsee kündete heller Glockenklang vom Wunder der Heiligen Nacht.

„Frohe Weihnacht, Peter“, sagte Regina glücklich.
„Lass uns heimfahren.“