Die zweierlei Freude

von Erich Bockemühl


Da haben sich einmal ein Mann und ein kleiner Junge gefreut. Und wer sich am meisten gefreut hat, das kann ich nicht sagen. Dem Mann aber standen die Tränen in den Augen, als er mir diese Geschichte erzählte.

Es war kurz vor Weihnachten. Und es war Gemeinderatssitzung. Als sie mit allen Besprechungen fertig waren, sagte einer von den Männern:
"Sollen wir nicht für die Armen jetzt vor Weihnachten etwas tun? Es sind so schlechte Zeiten, und manche Kinder haben nicht einmal für die Schule etwas Ordentliches anzuziehen."
So sagte der Mann, und alle waren damit einverstanden.
Am andern Tag fuhren der Gemeindevorsteher und sein Nachbar zur Stadt und kamen am Abend mit einem großen Paket zurück, aus dem sie dann nachher in der Wirtschaft vier Pakete machten, und vier Männer nahmen am Abend eines davon mit nach Hause, jeder eins für eine arme Familie, die am nächsten bei ihm wohnte.
Und bei den vier Männern war denn auch Bauer Hermes, und er hatte wohl das größte Paket, denn nahe bei ihm wohnten arme Leute, die sieben Kinder hatten, und der Vater war erst seit ein paar Tagen aus dem Krankenhaus zurück, wo er operiert worden war. Und sie wohnten in einem kleinen Haus am Wald, ganz einsam lag es da, und wenn im Winter der Schnee auf dem Weg und zwischen den Tannen lag, dann konnte man denken, es wäre Märchenhaus, so lag es zwischen den hohen Bäumen.
Als Bauer Hermes nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau:
"Nun werde ich wohl am besten morgen Abend dahin gehen, übermorgen ist schon Heiliger Abend, da kommt man schlecht dazu. Und sie können ja die Sachen den Kindern auf den Tisch legen, die werden ja doch nicht viel bekommen, weil da jetzt der Vater gerade wieder aus dem Krankenhaus gekommen ist..." Und die Frau sagte:
"Da kannst du ihnen von uns auch noch was mitnehmen, ich mache dir ein kleines Päckchen fertig, ein paar Äpfel und Nüsse und Spekulatius... und ein paar Kaffeebohnen und Kakao... aber gib es den Alten nur, nicht, dass die Kinder das vorher zu sehen kriegen!"

Ja, und so ging denn Bauer Hermes am andern Abend hin. Es schneite, und er dachte so für sich:
Nun bin ich der richtige Nikolaus. Es war aber noch nicht so ganz dunkel, die Felder lagen da so weiß, und auf den kleinen Tannen lag der dicke Schnee und auf den Ginstersträuchern auch, und als Bauer Hermes das kleine Haus durch die Bäume sah, und ein Fenster leuchtete von dem rötlichen Lampenlicht, da dachte er: Als wenn der Stall von Bethlehem da liegt. und so stampfte er denn mit seinen Stiefeln weiter durch den dicken Schnee.
Aber es kam doch etwas anders, als er sich gedacht hatte. Tupp, tupp, so klopfte er an die Tür und ging hinein. Da saß der Vater wieder am Ofen und sagte, als der Bauer Hermes guten Abend gesagt und gefragt hatte, wie es ginge, dass er jetzt viel wohler wäre - bloß so vor Weihnachten wäre doch nicht viel Geld mehr übrig geblieben, mit dem Christkindchen sollte es wohl dieses Jahr nicht viel geben. Aber auch die Kinder waren in der Küche. Eins zog sich gerade das Sonntagskleid an, und Karl war schon fertig, und als Bauer Hermes fragte: "Wo wollt ihr denn hin?" da sagten sie ihm:
"Wir gehen zu Mölder in den Saal, da ist Christfeier. Mutter will auch mit, die ist noch am Anziehen..."
Ja, das hatte Bauer Hermes vergessen, da wollte er auch noch hin, aber er hatte gemeint, es wäre erst am andern Abend, am Heiligen Abend, wie sonst doch auch immer. Und als er noch darüber nachdachte, da kam der kleine Ernst in die Stube und war am Weinen. Und der Vater sagte:
"Ja, Junge, ich kann daran nichts ändern." Und zu Bauer Hermes sagte er:
"Er muss zu Haus bleiben, wir haben keine Schuhe für ihn und auch kein ordentliches Zeug, die Schuhe muss Karl anziehen, der muss ein Gedicht sagen."
Und nun kommt das Schönste von der Geschichte:
"Du hast kein Zeug?" sagte der Bauer Hermes da. "Junge, zieh dich sofort aus!
Es ist jetzt fünf Uhr, da ist noch Zeit..." Und er packte sein Paket aus, und mittlerweile kam auch die Mutter herein, und er sagte:
"Nun zieht den Jungen mal an! Erst kommt das Hemd, da ist eins, dann die Unterhose, die ist hier... und was nun? Strümpfe? Da sind sie. jetzt die Schuhe...sind auch da. Passen sie auch?" Oh, sie passten gut. "Und nun? Da hast du einen ganzen Anzug, mein Junge... und oben drauf kommt noch eine Kappe. Nun seht den feinen Kerl!... du sollst doch zur Weihnachtsfeier gehen, das wollen wir doch mal sehen..." Er gab dann den andern auch die Sachen, die er für sie hatte - und er sagte nur, als er es mir erzählte, sie hätten doch alle solche Freude daran gehabt, und - wie der Junge sich gefreut hätte und wie seine Augen geleuchtet hätten und wie er so ein paar Mal aus tiefster Seele ganz stille für sich "ha, haaa" gesagt hätte, immer nur, "ha,haaa..."ja, es hätten ihnen allen die Tränen in den Augen gestanden. Und er hätte noch sagen müssen, dass es nun bald Zeit würde, sie hätten alle die Weihnachtsfeier beinahe vergessen. Und das wäre ja schon eine Weihnachtsfreude gewesen und für ihn die Allerschönste, die er je mitgemacht hätte.
Und er hat den kleinen Jungen an der Hand genommen und gesagt:
"Heute Abend gehst du mit mir, du bist heute Abend mein Junge." Und dabei hat er sich überlegt, dass seine Kinder doch nun alle groß wären und es doch schön wäre, so einen kleinen Jungen auf dem Hof zu haben, und dass er mit den Eltern reden wollte, dass der kleine Ernst zu ihm auf den Hof käme. Und das ist denn auch so geworden. Ernst kam, bis er vierzehn Jahre alt war, zu Bauer Hermes und hat es da gut gehabt.
Ja, und wer sich am meisten gefreut hat? Das kann man nicht wissen. Der Bauer hat sich gefreut, und die Eltern, und ich, und ihr alle freut euch, wenn ihr das lest... aber vielleicht doch am meisten hat sich der kleine Ernst gefreut, der zuerst soviel geweint hatte, weil er nichts Rechtes zum Anziehen hatte und nicht mit durfte. Und wie schön war es erst, als er mit den Geschwistern und den vielen anderen Kindern in dem großen Saal saß, wo die Kerzen brannten und wo alle zusammen sangen:

"O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit...."