Stumme Nacht
von Gernot Jennerwein


Es gibt Augenblicke im Leben, da wartet man auf jemanden, weiß aber nicht, auf wen man wartet und macht es trotzdem. Solche Stunden sind immer langwierig und überaus vergeblich. Wenn niemand kommt, dann kommt eben niemand. Begreift man das nach einer Weile, dann macht man sich auf den Weg.

In diesem elenden Zustand betrete ich meine Stammkneipe. Es ist zu warm in der Stube. Die Beleuchtung ist heruntergedreht. Brennende Kerzen stehen ringsherum und ein krummer Weihnachtsbaum blinkt in der Ecke, wie eine Illusion. Am Stammtisch sitzen ein paar altbekannte, traurige Gestalten. Die Stimmung ist arg und ich bin willkommen.
Nichts, wenn man es überlegt, kann wohltuender sein, als sich in einsamen Momenten unter Gleichgesinnten zu befinden. Man trinkt zusammen, nimmt Anteil und hat sich gerne. Es ist der Klub, der einsamen Seelen, dem man beigetreten ist.
Und doch kann diese Laune nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einen tief im Innern friert und so schmachten wir an diesem Abend dahin.
Es wird nur wenig gesprochen und man prostet sich verständnisvoll zu. Die Wirtin; eine Steyrerin, von Beruf aus recht trinkfest, ist doch stark benebelt; ich sehe sie kläglich das Bier ausschenken, wobei sie hin und her schwankt. Sie schaut sentimental drein und schwarze Tränen rutschen über ihre Backen.
Ein alter Bekannter betritt das Lokal und gesellt sich zu unserem Haufen. Er setzt sich neben mich. Wir werden schüchtern, denn er ist der großartigste Kerl der ganzen Stadt. Trotzdem aber entgeht es mir nicht, dass auch er mit einer gewissen Verlegenheit dasitzt. Das erste Bier kippt er beinahe in einem Zug hinunter und dann sagt er vorwurfsvoll:
„Was sind das für Tage, die ihr verbringt?“
Wir werden etwas verlegen. Der hünenhafte Kerl hat leicht lachen. Er ist gut aussehend, hat in allen Zeiten Geld und die Frauen liegen ihm zu Füßen.
„Armselig seid ihr“, sagt er, „seht mich an, ich hab mich vor drei Monaten scheiden lassen und mir geht es hervorragend. Die Kinder sehe ich nur noch jedes zweite Wochenende, die restlichen verbringe ich mit Frauen, mit immer anderen, versteht sich. Das Leben ist herrlich und ihr erstickt hier beinahe vor Selbstmitleid.“
Keiner von uns sagt etwas darauf. Seine Worte treffen uns hart. Zum Trost bestellt er eine Runde Schnaps. Misshandelt, wie ich bin, trinke ich gerne mit. Es ist, als wäre es Medizin, die uns der Peiniger verabreicht.
Nach drei weiteren Runden freuen wir uns laut, nur die Wirtin bleibt still hinter der Theke. Wir sind auf einmal mutig, erzählen uns billige Witze und lachen fortwährend.
Aber der viele Alkohol zeigt bald seine andere Wirkung. Wir sitzen wieder stumm und betreten am Tisch.
Es ist nach zehn Uhr und die Wirtin dreht das Radio an. Ein Chor singt „Stille Nacht“ und ich glaube, im Gedanken singen wir alle mit, so schauen wir in den Raum. Ich sehe in das Gesicht unseres Wohltäters. Sein Blick scheint in die Ferne gerichtet. Er ist bleich geworden. Seine Brust hebt sich unruhig auf und ab. Zwei tiefe Schluchzer kommen aus seiner Kehle. Er steht auf und schleicht sich aus dem Lokal.

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Liebe Leser...

...am 25.11.2022 postete ich -in diesem Jahr- die erste Geschichte diesen Thread “WEIHNACHTEN”.
Der “HIT-Zähler” stand auf “29.965”, es war eine sehr hohe Zahl.
Fazit:
dass dieser Thread mit den “Weihnachten-Geschichten” über das gesamte Jahr gelesen wurde !!
Deshalb bin ich gespannt, wie sich diese “Hit-Zählerzahl” von heute mit:
“32.830” bis zum 1. Advent 2023 entwickelt !?

Alle gepostet Beiträge, ”wurden im www ausgegraben".

Deshalb wird so manch einer von Euch, die eine oder andere Geschichte schon gekannt haben.
Ich hoffe aber, dass ich mit dieser kleine Auswahl, wieder etwas Freude oder auch ein Lächeln schenken konnte.
Angedacht war aber auch, dass die eine oder andere Geschichte zum Nachdenken anregen sollte; denn wir sollten es nicht vergessen und stets daran denken, wie gut es uns trotz aller evtl. Schwierigkeiten und Probleme doch geht.

... es ist so weit, diese Weihnachtsgeschichte, soll für dieses Jahr meine letzte gewesen sein.

So Gott will, starte ich nächstes Jahr -zum 1.Advent- diesen Thread wieder -mit kürzeren oder auch längeren- Geschichten.

Bitte bleibt -oder werdet- wieder schön gesund.

Ich bedanke mich recht herzlich für eure Aufmerksamkeit und wünsche Allen noch ein frohes Fest und einen:

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